ZÜPP

Fachstelle Entwicklungspsychiatrie – Juni 2021

Verbesserung der psychotherapeutisch-psychiatrischen Versorgung bei kognitiver Beeinträchtigung

In diesem Fachartikel stellt Laura Sergi die Abklärung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer kognitiven Beeinträchtigung durch die Fachstelle Entwicklungspsychiatrie der KJPP Zürich vor. Die Fachstelle unterstützt auch Psychotherapeut(inn)en bei der Behandlung dieser Kinder und Jugendlichen. 

Kinder und Jugendliche mit einer kognitiven Beeinträchtigung bzw. intellektuellen Entwicklungsstörung (früher: geistige Behinderung) haben ein erhöhtes Risiko, an psychischen Störungen zu erkranken. Sie zeigen des Öfteren herausforderndes Verhalten und brauchen häufiger als andere eine Begleitung bei der Bewältigung von psychosozialen Schwierigkeiten oder anstehenden Entwicklungsaufgaben. Störungen in der Selbstregulation mit Auto- und/oder Fremdaggression, sexuell abweichendes Verhalten, Schwierigkeiten in der Nähe-Distanzregulation, Selbstwertkonflikte und Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung sind häufig. Die Fachstelle Entwicklungspsychiatrie der KJPP Zürich bietet Abklärung und Behandlung mit einer individuell abgestimmten Herangehensweise, um der erhöhten psychischen Vulnerabilität dieser Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden. Die Fachstelle besteht seit November 2013 und ist Teil des Rahmenkonzepts für die psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit einer intellektuellen Entwicklungsstörung im Kanton Zürich.

Sicherstellung einer passenden psychotherapeutischen Behandlung

Uns ist es ein Anliegen, dass auch Kinder und Jugendliche mit einer kognitiven Beeinträchtigung eine für sie passende psychotherapeutische Behandlung erhalten. Hier bieten wir deshalb Unterstützung bei der Vermittlung von ambulanten Behandlungsplätzen, helfen bei der Vernetzung mit Behindertenorganisationen und übernehmen, wenn nötig, komplexere und dringliche Fälle. 

Wir möchten aber auch Psychotherapeut(inn)en für die spezifischen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit Intelligenzminderung sensibilisieren und helfen, „Berührungsängste“ abzubauen. Deshalb ermuntern wir Fachleute, ihr entwicklungspsychologisches Fachwissen und ihre therapeutischen Fähigkeiten in kreativer Form auch für die Behandlung dieser Kinder und Jugendlichen einzusetzen und bieten diagnostisch und therapeutisch im Sinne einer Fachberatung Unterstützung an. 

Vorgehen und Behandlungsstufen der Fachstelle

Wird ein Kind von einer Fachpersonen und den Sorgeberechtigten bei der Fachstelle angemeldet, wird die Abklärungsphase eingeleitet. Dabei ist zu beachten, dass bei Intelligenzminderung oftmals nicht auf standardisierte Testverfahren zurückgegriffen werden kann und die Selbstauskunft zum Teil sehr eingeschränkt ist. Deshalb tritt die Verhaltensbeobachtung und die Fremdanamnese mit Eltern und Betreuenden stark in den Vordergrund. Schul-, Wohngruppen- bzw. Hausbesuche und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den involvierten Institutionen sind deshalb unabdingbar. Auch werden schulpsychologische und entwicklungspädiatrische Abklärungen miteinbezogen und medizinische Untersuchungen eingeleitet.

Durch die aus der Abklärungsphase gesammelten Beobachtungen und Informationen versuchen wir, erste Annahmen bezüglich den Verhaltensauffälligkeiten zu generieren. Dabei gehen wir immer davon aus, dass jedem Verhalten oder Symptom eine Sinnhaftigkeit zugesprochen werden kann. Nichtdestotrotz ist es wichtig zu differenzieren, ob die Verhaltensauffälligkeiten einer psychischen Störung, z.B. in Folge einer Traumatisierung oder einer Autismusspektrumsstörung, zuzuordnen sind oder vielmehr dem emotionalen Entwicklungsstand entsprechend angemessen ist. Unter anderem wird anhand der SEED (Skala der emotionalen Entwicklung - Diagnostik nach Sappok et al 2018) zusammen mit den involvierten Lehrpersonen, Sozialpädagog(inn)en, Betreuern und den Eltern erhoben, in welcher Entwicklungsphase sich das Kind bzw. der/die Jugendliche «emotional» befindet. 

Im Rahmen der Abklärungsphase erfolgt eine erste Indikationsstellung für die Behandlungsstufe 1 (siehe hierzu Grafik). Hier werden eine psychotherapeutische Behandlung, eine eventuelle Anpassung der Versorgungs- und Betreuungsstrukturen und eine allfällige medikamentöse Behandlung in die Wege geleitet. Zentral ist die Zusammenarbeit mit dem Helfer(innen)netzwerk. Neben Psychoedukation zu psychiatrischen Störungsbildern ergeben sich aus der Erhebung des emotionalen Entwicklungsstandes pädagogisch-therapeutische Empfehlungen. In der Eltern- und Familienarbeit sind die Akzeptanz der Behinderung, das angemessene Einschätzen von Kompetenzen und Einschränkungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie der Umgang mit Gefühlen wie Schuld, Trauer, Angst häufige Themen. Das Ermöglichen von positiven Interaktionserfahrungen und eine starke Orientierung an Ressourcen stellen eine wichtige Grundlage für eine positive Entwicklung dar. 

Bei sehr komplexen Verhaltensauffälligkeiten bzw. Kindern und Jugendlichen, die in regulären heilpädagogischen Institutionen nicht tragbar erscheinen, kann im Rahmen der Behandlungsstufe 2 die Zuweisung in eine Therapeutische Wohnschulgruppe (TWSG Bühl und Ilgenhalde) erfolgen. Die therapeutischen Wohnschulgruppen bieten in einem sozialtherapeutischen Milieu eine vorübergehende Platzierung mit besonderer Unterstützung durch sozial- und heilpädagogisches, psychologisches und psychiatrisches Fachpersonal, um die psychische Verfassung des Kindes oder Jugendlichen zu verbessern und zu stabilisieren. 

Für die stationäre Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung, niedrigem emotionalen Entwicklungsstand und oft auch Verhaltensweisen aus dem autistischen Spektrum gibt es aktuell im Kanton Zürich und anderen Kantonen kein spezifisches stationäres Behandlungsangebot (Behandlungsstufe 3). Schweizweit bietet nur das Zentrum für Neuropsychiatrie der PDAG im Kanton Aargau eine spezifische stationäre Behandlung für Erwachsene mit intellektuellen Entwicklungsstörungen und komorbider psychischer Erkrankung oder Verhaltensstörungen. Wenn bei Kindern und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung aufgrund einer akuten, komplexen Krise ein stationärer Aufenthalt nicht vermieden werden kann, werden sie in den regulären Stationen der KJPP Zürich aufgenommen. Die Fachstelle Entwicklungspsychiatrie kann bei Bedarf von unseren Fachkollegen für die stationäre Behandlung beratend miteinbezogen werden.

 

Anmeldung Für betroffene Kinder und Jugendliche

Die Voranmeldung kann durch Fachpersonen (Psychologen, Sozialpädagogen, Lehrpersonen, Ärzte, etc.) telefonisch oder schriftlich erfolgen. Die Eltern bzw. die sorgeberechtigte Person muss Auftraggeber sein und mit dem Patientenstammblatt die Anmeldung bestätigen.

Eltern können auch eigenständig eine Anmeldung machen und sich an das zuständige Ambulatorium der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ihrer Wohnregion wenden. Die Fachstelle Entwicklungspsychiatrie wird bei Bedarf involviert, entweder als fallführende Stelle oder beratend: 

Fachstelle Entwicklungspsychiatrie

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Thurgauerstrasse 39
8050 Zürich

Telefon 044 578 60 80
fachstelle.entwicklungspsychiatrie@pukzh.ch

Weitere Informationen zur Fachstelle Entwicklungspsychiatrie finden Sie hier.

 

Über die Autorin

Laura Sergi, lic.phil., hat nach dem Studium der Entwicklungpsychologie an der Universität Zürich mehrere Jahre in der Stiftung wahrnehmung.ch gearbeitet und sich mit dem Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Handlung und Kognition auseinandergesetzt. Seit 2018 arbeitet sie als Psychologin und Psychotherapeutin an der Fachstelle für Entwicklungspsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklink Zürich mit Kindern und Jugendlichen mit einer kognitiven Beeinträchtiung und psychischen Störungen. Ihre psychotherapeutische Weiterbildung hat sie beim Institut für Kinder, Jugendliche und Familien in Luzern (KJF) absolviert.