ZÜPP

Fachartikel - Dezember 2022

Postpartale Depressionen – Besonderheiten für die Arbeit von Psycholog(inn)en

Dr. phil. Fabienne Forster hat an der ZüPP-Fortbildung im November 2022 zum Thema Postpartale Depressionen einen interessanten Vortrag vor mehr als 200 Teilnehmenden vor Ort und per Zoom gehalten. Die wichtigsten Aspekte sind in ihrem nachfolgenden Fachartikel zusammengefasst.

Psychische Störungen sind die häufigste Geburtskomplikation

Die meisten Erwachsenen in der Schweiz werden irgendwann Eltern. Laut Bundesamt für Statistik haben 75% aller Schweizer(innen) Kinder (Csonka et al., 2017). Kinder sind für viele Menschen ein grosser Lebenstraum. Sie versprechen sich davon Glück, Liebe, Sinn und Freude. Tatsächlich zeigt die Forschung, dass Kinder zu bekommen mit einem Anstieg an Zufriedenheit und Erfüllung einher geht (Dyer et al., 2008). Allerdings ist der Übergang zur Elternschaft gleichzeitig auch gekennzeichnet von Stress, Unsicherheit und ungeahnten Herausforderungen. Diverse Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen nehmen zu; gleichzeitig verringern sich Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit wie z. B. die Schlafqualität, Freizeit oder finanzielle Ressourcen (für einen Überblick siehe Forster, 2021). Das macht den Übergang zur Elternschaft zu einer Risikophase für die Entwicklung psychischer Störungen.

Tatsächlich sind psychische Störungen die häufigste Geburtskomplikation (Berger et al., 2017). Wenn wir Anpassungsstörungen einrechnen, ist schätzungsweise jeder vierte Elternteil von einer psychischen Störung betroffen. Am häufigsten im Übergang zur Elternschaft sind Angststörungen, v.a. Zwänge (Bradley & Slade, 2011). Vor allem bei Männern nehmen Substanzmissbrauch und -abhängigkeiten mit der Geburt zu (Borschmann et al., 2019) und für psychotische und bipolare Störungen besteht ein erhöhtes Rückfallrisiko (Bauer et al., 2020). Bekannter ist jedoch die postpartale Depression. Jede 6. Frau entwickelt eine postpartale Depression (Da Costa et al., 2017). Trotzdem wird in der Geburtsvor- und -nachbereitung noch zu selten über psychische Störungen gesprochen. Noch weniger bekannt ist, dass auch Männer und Partner(innen) von schwangeren Personen postpartale Depressionen entwickeln können, dabei ist jeder 10. Mann von einer postpartalen Depression betroffen.
 

Was sind Postpartale Depressionen?

Postpartale Depressionen sind keine offizielle klinische Diagnose. Es handelt sich dabei um eine depressive Episode gemäss den ICD-Kriterien der WHO. Zu welchem Zeitpunkt eine depressive Episode auftritt, ist für die Diagnostik nicht massgebend. Postpartal ist auch insofern unpräzise, dass depressive Episoden auch schon während der Schwangerschaft entstehen können. Bei etwa der Hälfte aller Betroffenen bestanden die Depressionen schon während der Schwangerschaft (Hofecker Fallahpour et al., 2005). Unter der postpartalen Depression wird im öffentlichen Diskurs gemeinhin eine depressive Episode während Schwangerschaft oder dem ersten Jahr nach Geburt verstanden.

Trotzdem gibt es ein paar Besonderheiten, wenn eine depressive Episode während Schwangerschaft und nach Geburt auftritt, auf die ich hier eingehen möchte. Eine Besonderheit liegt darin, dass depressive Symptome sich teilweise überlappen mit Belastungen, die für die frühe Elternschaft typisch sind. So gehören zum Beispiel Veränderung in Schlaf, Appetit bzw. Gewicht und sexueller Appetenz für die meisten Eltern, vor allem für schwangere Personen, zum Elternwerden dazu. Die Schlafdauer reduziert sich in der Regel deutlich in den ersten Jahren, was auch mit Erschöpfung und Stimmungseinbrüchen einhergehen kann. Konzentrationsprobleme ergeben sich bei Schwangeren und ihren Partner(innen) natürlicherweise durch die neurologische Umstrukturierung. Die Reduktion der grauen Substanz geht mit kognitiven Einbussen für etwa zwei Jahre nach Geburt einher (Càrdenas et al., 2020). In der Diagnostik gilt es daher, die einzelnen Beschwerden genau zu explorieren und differenzieren.

Als zweites gibt es bei der Postpartalen Depression die körperlichen Aspekte von Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit zu beachten. Während der Schwangerschaft sind einige stimmungs- und stressrelevante Hormone um ein 500-faches erhöht. Mit der Geburt reduziert sich das Hormonlevel drastisch in kurzer Zeit. Im Vergleich dazu: Beim durchschnittlichen Menstruationszyklus schwanken die Hormone um das 5-fache (Pop et al., 2015). Zu weiteren Hormonschwankungen kommt es beim Stillen und Abstillen. Übrigens finden sich auch hormonelle Veränderungen bei Vätern und Partner(innen) von Schwangeren. Kenntnisse um diese hormonellen Konstitutionen und deren Auswirkungen sind wichtig zum Verständnis der psychischen Gesundheit von Eltern.

Darüber hinaus ist die Geburt als solche ein prägendes Ereignis. Das Erleben der Geburt steht meist im Kontrast zu den medial vermittelten Bildern einer «Traumgeburt». Bei etwa der Hälfte der Geburten kommt es zu Geburtskomplikationen, häufig unerwartet. Häufig ist es mit einem unerwartet grossen Kontrollverlust verbunden. Das kann besonders bei traumatischen Erlebnissen in der Vergangenheit zu einer Reaktivierung derselben führen. Fast ein Drittel aller Gebärenden erlebt die Geburt als traumatisch und nicht wenige Partner(innen) (Simkin, 2011). In der Arbeit mit jungen Eltern ist es wichtig, das Geburtserleben zu explorieren und zu bearbeiten.

Zur Vor- und Nachbereitung der Geburt bietet es sich an, mit anderen Fachpersonen auf dem Gebiet zusammen zu arbeiten. Gynäkolog(inn)en sowie Hausärztinnen und Hausärzte gehören zu wichtigen Partner(innen) in der Bearbeitung der psychosomatischer Probleme rund und Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Hebammen, Doulas, Mütter-Väter-Beratende, Körpertherapeut(inn)en, Pflegefachpersonen und weitere Expert(inn)en der frühen Förderung bringen in der Regel ein breites Repertoire an Techniken und Tipps zur Geburtsvor- und -nachbereitung mit. Auch deshalb ist es in der Peripartalzeit von grosser Bedeutung, interdisziplinär vernetzt zu denken und arbeiten.
 

Behandlung peripartaler psychischer Störungen

Generell gestaltet sich die Behandlung peripartaler psychischer Störungen gleich wie die Behandlung psychischer Störungen, die zu anderen Zeitpunkten auftreten. Spezielles Augenmerk sollte dabei unter anderem auf die oben genannten Besonderheiten gelegt werden. Konkret bedeutet das folgende Themen im Fokus zu behalten: Geburtserlebnis, Trauma-Vorgeschichte, genetische Vorbelastung, hormonelle und physiologische Veränderungen, Paarbeziehung, Erziehungs- und Bindungskompetenzen, soziale und institutionelle Unterstützung. Wortmann-Fleischer, Downing & Hornstein (2016) empfehlen basierend auf ihrem empirisch validierten Interventionsprogram zur Behandlung postpartaler psychischer Störungen ausserdem folgende störungsunabhängigen Therapiebausteine: Stressmanagement, Psychoedukation zum biopsychosozialen Modell und Eltern-Kind-Bindung, Unterstützung der elterlichen Kompetenz, Thematisierung der Rollenwechsel und Bewältigung schwieriger Gefühle.
 

Folgen für das ganze Familiensystem

Nicht nur in der Zusammenarbeit von Fachpersonen ist vernetztes Denken wichtig zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von Eltern. Die psychische Gesundheit ist im ganzen Familiensystem hoch interdependent. Eine postpartale Depression bei einer Person gilt zum Beispiel als Hauptrisikofaktor für die Entwicklung einer postpartalen Depression bei deren Partner(in) (Whisman et al., 2012). Darüber hinaus hängt die Partnerschaftszufriedenheit negativ mit depressiven Symptomen beider Partner(innen) zusammen (Bodenmann, 2022). Das ist besonders im Übergang zur Elternschaft relevant, in der sich Partnerschaften im Durchschnitt erst einmal verschlechtern (Kluwer, 2019). Studien, die an der Universität Zürich am Lehrstuhl für klinische Psychologie für Kinder/Jugendliche und Paare/Familien durchgeführt wurden, zeigen eine Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit sowie eine Zunahme negativer Paarinteraktionen im ersten Jahr nach der Geburt selbst bei gut gebildeten und situierten Eltern (Rauch-Anderegg et al., 2020).

Umgekehrt ist die Partnerschaft eine der zentralen Unterstützungsquellen für Personen in stressreichen Lebensphasen (Bodenmann, 2016). Hier bieten sich auch Präventionsangebote für Paare wie z. B. paarlife oder EPL an. Paare, die gut als Team funktionieren, können den Herausforderungen mit Resilienz begegnen. Der Einbezug von Partner(innen) von schwangeren Personen ist daher bereits während der Schwangerschaft wichtig. Paare, die trotz Stress und Traditionalisierung eine ausgewogene Unterstützung im Paar beibehalten können, zeigen im Durchschnitt eine bessere psychische Gesundheit. Eine Studie der Autorin konnte z. B. zeigen, dass Ausgeglichenheit in der Paarunterstützung negativ mit depressiven Symptomen zusammenhängt (Meier et al., 2020; 2021). Sowohl Eltern als auch Menschen mit Depressionen scheinen von einem ausgeglichen erlebten Geben und Nehmen im Paar zu profitieren.

Die Partnerschaft sowie die psychische Gesundheit der Eltern bilden zwei zentrale Pfeiler für die Entwicklung der Kinder. So zeigen internationale Studien negative Effekte von depressiven Symptomen bei Eltern auf die Kinder; bereits intrauterin und bis ins Erwachsenenalter (Morgan et al., 2018). Allgemein gilt, dass Gesundheit und Krankheit der Mitglieder im Familiensystem stark zusammenhängen. Für die frühe Elternschaft gilt das im Besonderen. Kind und Eltern sind in dieser Zeit möglicherweise stärker verbunden und voneinander abhängig als jemals danach. Das macht den Übergang zur Elternschaft nicht zu einer Risikophase, sondern auch zu einer Zeit der Chancen, in der bereits kleine, niederschwellige Interventionen positive Effekte auf das ganze Familiensystem haben können.
 

Literaturempfehlungen

Bodenmann, G. (2016). Lehrbuch der Klinischen Paar- und Familienpsychologie. (2. Auflage). Bern: Hogrefe

Forster, F. (2021). Die psychische Gesundheit von werdenden Eltern unterstützen. Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen. Gesundheitsförderung Schweiz.  Gratis Download unter: www.gesundheitsfoerderung.ch

Gregorowius, D., Baumann-Hölzle, R., Altwegg, R., Binswanger, J., Barbier Colombo, P. & Hemmeter, U. (2022). Integrierte psychiatrisch-psychotherapeutische präkonzeptionelle Beratung von Frauen im gebärfähigen Altern. Stiftung Dialog Ethik. Gratis Download unter: https://www.dialog-ethik.ch/projekte/praekonzeptionelle-beratung

Rohde, A. & Dorn, A. (2013). Gynäkologische Psychosomatik und Gynäkopsychiatrie. Schattauer.

Wortmann-Fleischer, S., Downing, G. & Hornstein, C. (2016). Postpartale psychische Störungen. Ein interaktionszentrierter Therapieleitfaden. Kohlhammer.
 

Hilfreiche Links

 

 

Über die Autorin:

Dr. phil. Fabienne Forster (geb. Meier) hat an der Universität Zürich promoviert und arbeitet heute als klinische Psychologin und Paartherapeutin im Kompetenzzentrum für Gynäkopsychiatrie am Ambulatorium Wil der Psychiatrie St. Gallen Nord. Sie befasst sich in Forschung und Praxis mit dem Thema Postpartale Depression. Im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz hat sie Empfehlungen für Fachpersonen zur Förderung der psychischen Gesundheit von Eltern verfasst und gibt schweizweit Fortbildungen zum Sprechen über Postpartale Depressionen.