ZÜPP

Fachartikel - September 2021

Gesundheitsverhalten während der Coronapandemie

Prof. Dr. Urte Scholz zeigt in diesem Fachartikel anhand von aktuellen Forschungsergebnissen zur Coronapandemie, dass Massnahmen für Verhaltensänderung vor allem Ressourcen ansprechen und nie alleine auf die Risikowahrnehmung setzen sollten. Der Artikel fasst das Referat von Urte Scholz an der ZüPP-Generalversammlung 2021 zusammen.

Die Coronapandemie verlangt einiges von uns ab. Dazu gehört das Einhalten von Empfehlungen für bestimmte Verhaltensweisen, die vor der Pandemie in der Schweiz entweder gar nicht üblich oder nicht so intensiv im Gespräch waren, z.B. das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im öffentlichen Raum oder Impfungen. Diese verschiedenen Verhaltensweisen sind der Schlüssel zur Beendigung der Pandemie. Würden sich alle Menschen an die Verhaltensempfehlungen halten, wäre die Pandemie beendet. Davon sind wir aber weit entfernt. In der Öffentlichkeit wird viel darüber diskutiert, was es braucht, um die Schweizer Bevölkerung zur Einhaltung der Empfehlungen zu bewegen. 

Wenig nachhaltige Veränderung des Gesundheitsverhaltens durch Risikokommunikation

Ein intuitiv einleuchtender und entsprechend häufig angewendeter Ansatz ist, dass man den Menschen vor allem erklären muss, wie hoch das Risiko für eine Erkrankung ist. Die Annahme dabei ist, dass sich alle Menschen so verhalten, dass sie ihr Risiko minimieren. In der Coronapandemie kommt diese Strategie in verschiedenen Facetten zum Vorschein: Es wird informiert, dass man selbst schwer erkranken oder sogar sterben könnte oder dass andere Menschen durch das eigene Verhalten einem Risiko ausgesetzt sind. Weiter wird auf das Risiko von langanhaltenden Beschwerden, auch nach einer Infektion mit nur leichten Symptomen (bekannt unter dem Begriff LongCovid) aufmerksam gemacht. Das ist wichtig, um sicherzustellen, dass die Bevölkerung gut über die Konsequenzen einer Infektion informiert ist. Es ist aber auch so, dass ein ausschliessliches Setzen auf Risikokommunikation wenig für die nachhaltige Veränderung des Gesundheitsverhaltens wirkt. Wäre das anders, würde sich die Menschheit äusserst gesund verhalten und z.B. nicht rauchen, viel Sport treiben und nur gesund essen. 

Die Erforschung der Faktoren, die die Veränderung von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen begünstigen oder erschweren ist eines der Kernthemen der Gesundheitspsychologie. Tatsächlich beinhalten die meisten Theorien des Gesundheitsverhaltens die Risikowahrnehmung als ein Element, das das Setzen einer Intention für ein Verhalten oder das Verhalten selbst begünstigen soll. Allerdings setzt keine einzige gesundheitspsychologische Theorie des Gesundheitsverhaltens ausschliesslich auf die Risikowahrnehmung, um eine nachhaltige Veränderung des Verhaltens zu bewirken. Statt dessen werden der Risikowahrnehmung in der Regel Faktoren zur Seite gestellt, die die Ressourcen einer Person ansprechen, z.B. die Selbstwirksamkeit oder die wahrgenommene Wirksamkeit des Verhaltens. Die Annahme ist, dass die Wahrnehmung eines gewissen Risikos zwar ein guter Grund sein kann, um über eine Veränderung des Verhaltens nachzudenken, dass man sich das Verhalten aber zusätzlich auch noch zutrauen muss (Selbstwirksamkeit) und idealerweise auch mehr Vor- als Nachteile in der Veränderung sieht (z.B. dass man damit wirksam zur Eindämmung der Pandemie beitragen kann). 

Studienergebnisse zeigen positiven Effekt von Ressourcen

In einem aktuellen Projekt [1] (Leitung: Urte Scholz und Alexandra M. Freund, Professorin für Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter, Universität Zürich) testen wir diese Annahmen. Erste Ergebnisse basieren auf der ersten Befragung dieses Projekts, die während des Lockdowns in der Schweiz zwischen dem 24.03. und dem 06.04.2020 telefonisch mit 1009 Personen aus allen drei Sprachregionen durchgeführt wurde [2]. So wurden Zusammenhänge zwischen verschiedenen Risikowahrnehmungen für sich selbst und für andere, der Selbstwirksamkeit, der wahrgenommenen Wirksamkeit der Massnahmen sowie der Missbilligung des Einhaltens der Massnahmen durch das eigene soziale Umfeld mit Intentionen für verschiedene empfohlene Verhaltensweisen (Einhalten der Hygieneempfehlungen, Abstand halten, Einhalten der Empfehlungen bei Krankheitssymptomen) sowie diesen Verhaltensweisen selbst untersucht. 

Es zeigte sich, dass die verschiedenen Risikowahrnehmungen keine Relevanz für Intention und Verhalten hatten. Stattdessen waren sowohl die Selbstwirksamkeit als auch die wahrgenommene Wirksamkeit der Massnahmen konsistent mit höherer Intention und mit häufigerer Einhaltung des empfohlenen Verhaltens verbunden. Die soziale Missbilligung ging mit geringeren Intentionen einher, zeigte aber keinen Zusammenhang mit den empfohlenen Verhaltensweisen. Die Intention war zusammen mit Selbstwirksamkeit und wahrgenommener Wirksamkeit der Massnahmen ein wichtiger Faktor für die Verhaltensweisen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass eine Förderung der Ressourcen, z.B. also der Selbstwirksamkeit und der wahrgenommenen Wirksamkeit der Massnahmen, eine bessere Strategie als der Appell an das Risiko sein kann. 

Das deckt sich mit bisherigen Forschungsergebnissen im Kontext der Pandemie als auch herkömmlicherer Gesundheitsverhaltensweisen wie z.B. dem Rauchstopp oder der Umstellung der Ernährung. Gleichzeitig muss man bedenken, dass die Ergebnisse keine Kausalschlüsse zulassen und der Lockdown in der Schweiz zu Beginn der Pandemie eine sehr besondere Situation war. In einem nächsten Schritt werden die Daten der sechs Messzeitpunkte, die über den bisherigen Verlauf der Pandemie erhoben wurden, ausgewertet, um zu prüfen, ob sich die Zusammenhänge während der Pandemie verändern. Die Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspsychologie hat eine theorie- und evidenzbasierte Hilfestellung für die Einhaltung der Verhaltensempfehlungen auf ihrer Webseite publiziert: https://healthpsychology.ch/covid-19/

Die persönliche Impfentscheidung hängt von vielen Faktoren ab

Auch das Impfen gegen eine mögliche Infektion mit SARS-CoV-2 ist ein Gesundheitsverhalten, das gerade im Moment eine sehr hohe Relevanz besitzt. Die Impfquote in der Schweiz ist im internationalen Vergleich relativ gering ausgeprägt. Für die Impfung könnte man nun ebenfalls meinen, dass die Minimierung des Risikos einer Erkrankung für sich und andere ein zentraler Grund für die Impfung sein könnte. Auch hier zeigt sich aber, dass es weit mehr braucht als die Risikowahrnehmung. Das 5-C-Modell von Cornelia Betsch und Kolleg*innen [3] nimmt an, dass es fünf veränderbare Faktoren sind, die das Impfen begünstigen. Neben der Risikowahrnehmung (Complacency) ist das das Vertrauen (Confidence) in die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung sowie in das Gesundheitssystem und die Entscheidungsträger. Tatsächlich bestätigt dies eine aktuelle, repräsentative Umfrage vom Juli 2021 in der Schweiz [4]: der am häufigste angegebene Grund sich nicht impfen zu lassen, war das mangelnde Vertrauen in die neuen mRNA-Impfstoffe. Um das Vertrauen zu stärken, ist es z.B. wichtig, gezielt darüber zu informieren, wie die Impfstoffe so schnell entwickelt und zugelassen werden konnten. Weiter empfiehlt sich auch eine transparente Kommunikation über tatsächlich auftretende Nebenwirkungen, da eine Verschleierung das Vertrauen untergraben würde. Zusätzlich kann es förderlich sein, wenn sich Prominente als Rollenmodelle impfen lassen und auch Führungs- und Autoritätspersonen von Minderheiten sich für die Impfung aussprechen. 

Ein weiterer Faktor ist die Berechnung (Calculation), die für das Abwägen von Vor- und Nachteilen steht. Auch hier bestätigt die repräsentative Umfrage die Relevanz, da der am zweithäufigsten genannte Grund für das Nicht-Impfen erwartete Nebenwirkungen der Impfung waren. Nebenwirkungen schlagen bei den wahrgenommenen Nachteilen der Impfung zu Buche. Als dritthäufigster Grund wurde in der Umfrage von der Schweizer Bevölkerung angegeben, dass die Impfung keine persönliche Wichtigkeit besitzt. Auch dies zeigt, dass die persönliche Kosten-Nutzen-Berechnung zentral ist: wenn die Impfung als nicht wichtig angesehen wird, werden offenbar zu wenig Vorteile mit der Impfung verbunden. Dieses Umfrageergebnis spricht auch noch für einen weiteren Faktor des 5-C-Modells: die kollektive Verantwortung (collective responsibility), womit gemeint ist, dass man durch die Impfung auch etwas für den Gemeinschaftsschutz («Herdenimmunität») tun kann. Wäre dieser Faktor höher ausgeprägt, gewänne die Impfung an Wichtigkeit. Schliesslich gibt es noch den Faktor Barrieren (Constraints). Damit sind vor allem strukturelle Hindernisse gemeint, wie Aufwand, finanzielle Hürden oder Zeitmangel. Die Impfbusse, die aktuell die Impfung zur Bevölkerung bringen und keine Voranmeldung erfordern, sind gute Beispiele für die Reduzierung solcher struktureller Barrieren. 

Schlussfolgerungen

Insgesamt zeigt sich für verschiedenste Gesundheitsverhaltensweisen im Kontext von Covid-19, aber auch darüber hinaus, dass Massnahmen zur Unterstützung der Verhaltensänderung auf individueller sowie auch gesellschaftlicher Ebene vor allem Ressourcen ansprechen und nie alleine auf die Risikowahrnehmung setzen sollten. Das mag für uns Psychologinnen und Psychologen eine Selbstverständlichkeit sein, in der breiten Öffentlichkeit hält sich aber die Überzeugung hartnäckig, dass unser Verhalten rational begründet ist und eine in Aussicht gestellte Minimierung des eigenen Risikos ausreicht, um eine Veränderung herbeizuführen. Die Gesundheitspsychologie bietet die entsprechenden Theorien und die wissenschaftliche Evidenz zur wirksamen Veränderung des gesundheitsrelevanten Verhaltens. 

 
 

Über die Autorin:

Prof. Dr. Urte Scholz ist Professorin für Angewandte Sozial- und Gesundheitspsychologie am Psychologischen Institut der Universität Zürich sowie Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspsychologie.

Weiterführende Informationen zur Gesundheitspsychologie:

Sie interessieren sich für die Gesundheitspsychologie? Hier finden Sie Weiterbildungsangebote der Universitäten Zürich und Bern: Neben einem MAS für Gesundheitspsychologie gibt es vier verschiedene, einsemestrige CAS, die berufsbegleitend besucht werden können:

Wenn Sie sich für eine Mitgliedschaft bei der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspsychologie interessieren, finden Sie hier weitere Informationen.