ZÜPP

ZüPP-Fortbildung - März 2021

Verhaltenssüchte und digitale Mediennutzung

An der ZüPP-Online-Fortbildung am 23. März 2021 profitierten 160 Teilnehmende vom grossen Fachwissen von Franz Eidenbenz zum Thema Verhaltenssüchte und digitale Mediennutzung. Er präsentierte aktuelle Studienergebnisse, die er mit zahlreichen Praxisbeispielen anschaulich ergänzte und die in der abschliessenden Fragerunde intensiv diskutiert wurden.

Franz Eidenbenz ist Psychologe und Fachpsychologe für Psychotherapie und engagiert sich seit 1999 für die Behandlung und Weiterbildung zum Thema Onlinesucht. 2011 baute er das Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte RADIX auf, wo er immer noch als Leiter tätig ist. Beinahe frisch ab Druck hilft er mit seinem im Januar erschienenen Buch «Digital Life Balance» denjenigen, die ihren Medienkonsum wieder in den Griff bekommen möchten.

Zu Beginn des Fachreferats betonte Franz Eidenbenz , wie wichtig es ist, zwischen Substanz- und Verhaltenssüchten zu unterscheiden. Wo man Substanzmissbrauch aufgrund seiner schädigenden Folgen deutlicher erkennen kann, ist es bei Verhaltenssüchten etwas komplexer. Der Referent verwies dazu auf Verhaltensweisen, bei denen die Sucht aufgrund eines grundsätzlich positiv bewerteten Outputs leicht zu übersehen ist, wie beispielsweise exzessiver Sport oder wöchentlich 20 Überstunden. Als hilfreich beurteilte Eidenbenz die systematisierte Einordnung der Verhaltenssüchte in den ICD-11.

In seinem Referat fokussierte sich Eidenbenz auf drei Themen der Verhaltenssucht in der Mediennutzung: das Glücksspiel, die Online-Sucht spezifisch beim Gaming und den Pornografiekonsum. Als besonders herausfordernden Faktor nannte er die beschränkte Abstinenzmöglichkeit bei Verhaltenssüchten, da oft keine direkte körperliche Schädigung stattfindet und sich die Verfügbarkeit des Suchtmittels wesentlich vom Konsum von illegalen und gefährlichen Substanzen unterscheidet. Beim Stichwort Verfügbarkeit sind die Medien ganz vorne mit dabei: Sie entwickeln sich rasant und besonders das Smartphone beschrieb der Referent als epochale Entwicklung, da man kaum mehr auf andere Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion ausweichen kann.

Eine wichtige Differenzierung ist gemäss dem Referenten nötig beim umgangssprachlichen Ausdruck der «Glücksspielsucht», die er treffender als «Pechspielsucht» beschreiben würde, und die korrekterweise «Geldspielsucht» heisst. Dies begründete Eidenbenz auch in der Diskussionsrunde damit, dass beim Gambling nicht das Streben nach Glück, sondern dasjenige nach Geld von zentraler Bedeutung ist. Nicht zu vernachlässigen ist zudem der Glaube vieler Spieler, das Glück kontrollieren zu können. Die Betroffenen akzeptieren ihre Suchtverhalten häufig erst nach langer Zeit und sozialem Abstieg. Entsprechend lange dauert häufig dann auch die Therapie. Für Hilfe und Prävention verwies Eidenbenz auf folgende Website: www.safer-gambling.ch.

Ins zweite Scheinwerferlicht stellte der Psychologe die Online-Sucht und thematisierte dabei besonders das Online-Gaming. Online ist wichtig zu erwähnen, da es viel mehr Suchtpotential bietet als das Spielen auf lokalen Computern. Interessant sind zwei Mechanismen, welche die virtuellen Spielfiguren für die häufig jugendlichen Spieler erfüllen: die Kompensation, in der man seine Unzulänglichkeit auszugleichen versucht, und die Komplementarität, in der man eine Ergänzung von eigenen fehlenden Eigenschaften anstrebt. Obwohl gemäss Eidenbenz auch in der Online-Welt Fähigkeiten erworben und soziale Kontakte geknüpft werden können, geschieht dies meist auf Kosten realer Erfahrungen und dient deshalb keinesfalls als Ersatz.

Als dritten Punkt widmete sich der Referent der Pornografie und zeigt interessante Verhaltensweisen in Zusammenhang mit spezifischen Ereignissen auf. So ist mit dem Anpfiff des WM-Vorrundenspiels Deutschland gegen Portugal die Besucherzahl von YouPorn in Deutschland um mehr als 60% gegenüber dem tagesüblichen Durchschnitt gesunken. Auf der anderen Seite konnte der Branchenriese laut Eidenbenz zwischen März und Juli 2020 täglich bis zu 26% mehr Klicks aus Deutschland als in der Zeit vor Corona verbuchen.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mediennutzung durch Jugendliche wurde von der ZHAW untersucht. Interessant ist dabei, dass sich bereits im Januar 2021 der Konsum wieder auf dem Ausgangspunkt vor Covid-19 befindet. Laut Eidenbenz ist man dabei, den Grund dafür zu ermitteln. Auch in der Berufspraxis hat der Fachpsychologe einen Unterschied bemerkt: Die Anzahl von Anfragen in seinem Beratungszentrum hat zwar während des ersten Lockdowns nur geringe Einbussen verkraften müssten, allerdings erhielten sie während dem zweiten Lockdown von November 2020 bis Februar 2021 25% weniger Anfragen. Trotzdem kann gemäss Eidenbenz nicht von einer wesentlichen Veränderung gesprochen werden. Der Rückgang von Anfragen erklärte er damit, dass möglicherweise Angehörige den Medienkonsum in der aktuellen Lage toleranter beurteilen oder Konflikte vermeiden wollten. Ausserdem stellte er die Hypothesen auf, dass die Menschen mit anderen Problemen wie der Erhaltung ihres Jobs beschäftigt sind, oder man weniger unter Verhaltenssüchten sondern mehr unter den Einschränkungen und depressiven Verstimmungen leidet.

Was ist also zu tun, um eine konstruktive Mediennutzung zu fördern? Franz Eidenbenz betonte, dass das Setzen von Regeln und Grenzen sowie die Selbststeuerung in der konstruktiven Mediennutzung von zentraler Bedeutung sind. Ausserdem soll klar zwischen Realität und Virtualität unterschieden und Selbstkompetenzen, wie ein verantwortlicher Umgang oder die Impulskontrolle, gestärkt und reflektiert werden. Nach der abschliessenden und trotz Zoom sehr partizipativen Diskussionsrunde erhielt der Referent viel Lob von den Teilnehmenden für seine wertvollen Ausführungen.

Beobachter-Ratgeber «Digital-Life-Balance» von Franz Eidenbenz, 2021, 224 Seiten
Dieser Ratgeber hilft, die subtilen Verführungsmechanismen von Games, Social Media und Co. zu erkennen und die Kontrolle über den digitalen Konsum zurückzugewinnen. Mit mehr als 100 Tipps aus der Therapie-Praxis richtet sich das Buch an alle, die den eigenen Medienkonsum wieder in den Griff bekommen wollen oder sich um die Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen oder anderen Nahestehenden sorgen.