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Fachartikel Schulpsychologie - März 2023

Lese- und Rechtschreibstörung (LRS): von der (Früh-)Erkennung zur Förderung

In der Abendveranstaltung der Vereinigten Schulpsychologinnen und Schulpsychologen des Kantons Zürich (VSKZ) vom 01.02.2023 waren Silvia Brem und Hannah Mehringer von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich als Referentinnen eingeladen. Sie hielten ein Referat zum Thema Lese- und Rechtschreibstörung (LRS) aus neurowissenschaftlicher Perspektive, mit Fokus auf Diagnose und Förderung betroffener Kinder.

Gute Lese- und Rechtschreibfertigkeiten sind entscheidend für eine erfolgreiche schulische und berufliche Laufbahn sowie für eine aktive Teilhabe am sozialen Leben. Dennoch haben fünf bis zehn Prozent der Kinder Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und/oder Schreibens. Das heisst, dass durchschnittlich in jeder Schulklasse ein Kind betroffen ist. Kinder mit LRS, auch Legasthenie oder Dyslexie genannt, haben oft eine schwierige Schulzeit. Die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben können das Selbstwertgefühl, das Wohlbefinden, die Motivation in der Schule und die kognitive Entwicklung beeinträchtigen. Deshalb ist eine frühzeitige Erkennung der LRS besonders wichtig, um das Kind bestmöglich zu unterstützen und zu fördern.

Im ersten Teil des Referats wurde das aktuelle Wissen über die möglichen Ursachen, das Erscheinungsbild und die Möglichkeiten der Früherkennung und Frühförderung von LRS zusammengefasst. Die Ursachen sind nicht vollständig geklärt, aber es gibt Hinweise auf eine multifaktorielle Genese, einschließlich genetischer Faktoren und Umwelteinflüssen, die zu Besonderheiten in der Hirnentwicklung und Unterschieden in den Hirnnetzwerken führen, die für die Schriftsprachverarbeitung wichtig sind. Die Referentinnen betonten die Bedeutung einer frühzeitigen Erkennung der LRS, um betroffene Kinder bestmöglich zu unterstützen und zu fördern. Frühzeitige Screenings im Kindergartenalter können helfen, Probleme in Vorläuferfertigkeiten der Schriftsprachverarbeitung zu identifizieren und eine frühzeitige Förderung zu ermöglichen. 
Im zweiten Teil wurden anhand von Fallbeispielen der LRS Abklärungs- und Forschungsambulanz der KJPP PUK praktische Hinweise zur Diagnostik und Differentialdiagnostik gegeben sowie die Unterschiede zwischen verschiedenen Diagnosemanualen (ICD-10, ICD-11 und DSM-5) erläutert. Weil LRS häufig zusammen mit ADHS, Dyskalkulie und anderen Begleitstörungen auftritt, sind die Diagnosen oft anspruchsvoll. Dennoch ist es wichtig, dass die Betroffenen möglichst schnell unterstützt und gefördert werden. Möglichkeiten zur Förderung und zu Nachteilsausgleichsmassnahmen wurden dahingehend besprochen.

Die Referentinnen betonten die Relevanz einer möglichst frühen Förderung und sorgfältigen Differentialdiagnostik. Wenn LRS frühzeitig erkannt und behandelt wird, kann dies das Leben der betroffenen Kinder deutlich erleichtern und ihre Zukunftsperspektiven verbessern. Es ist wichtig, bei Verdacht nicht abzuwarten und Kinder mit LRS frühzeitig zu unterstützen. Symptombasierte Trainings sind am effektivsten, und eine gute Aufklärung von Kindern, Eltern und Lehrpersonen ist unerlässlich.

Über die Autoren:

Prof. Dr. sc. nat. Silvia Brem ist Neurowissenschaftlerin und Assistenzprofessorin an der Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich. Ihre Forschung im Bereich Lesen, Leseerwerb und Dyslexie verfolgt hauptsächlich drei Ziele: 1) Verbessertes Verständnis der Leseentwicklung und Besonderheiten bei Dyslexie im Gehirn, 2) Verbesserte Vorhersage der Leseentwicklung mit Hilfe von Massen aus Neurowissenschaften und Verhalten im Kindergartenalter, 3) Entwicklung und Evaluation von Trainingsprogrammen basierend auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen für Kinder mit Problemen beim Leseerwerb. Silvia Brem ist Mutter von zwei Kindern und engagiert sich nebenberuflich im Vorstand für den Verband Dyslexie Schweiz. 

 

 

Dr. med. Hannah Mehringer ist Oberärztin in der Tagesklinik für Kinder Zürich und in der Abklärungs- und Forschungsambulanz Lese-Rechtschreibstörungen der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Sie hat ihre Dissertation in der Forschungsabteilung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zur Evaluation der Lese-Trainings-App Swiss GraphoLearn verfasst. Hannah Mehringer hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Humanmedizin studiert und am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJPP) der Universität Zürich und am Sanatorium Kilchberg die Ausbildung zur Fachärztin absolviert. Sie war ab 2009 zunächst Oberärztin auf den Jugendlichenstationen an der KJPP, bevor sie 2015 die Stelle als Oberärztin an der Tagesklinik für Kinder der KJPP übernahm.